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Auf die sanfte Tour

Roman | Castle Freeman

E-Book (EPUB)
2017 Verlag Nagel & Kimche Ag
Auflage: 1. Auflage
192 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-312-01024-0

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Aus einer abgelegenen Villa in Vermont, USA, wird ein Safe gestohlen, der dummerweise der Russenmafia gehört. Sheriff Wing will das Verbrechen aufklären, bevor die Russen den Dieb erwischen. Das bedeutet eine harte Probe für seine oberste Regel: Im Wettlauf gegen die Zeit ist die wichtigste Fähigkeit Geduld. Deputy Keen, der an Wings Stelle Sheriff werden will, sieht das völlig anders und verspricht, hart durchzugreifen. Erneut zeigt sich Castle Freeman als Meister des Dialogs, des trockenen Humors und der Inszenierung knorriger Provinzcharaktere. In seinem neuen Thriller verbindet er Spannung mit Menschenkenntnis und überzeugender Lebensklugheit.

Castle Freeman wurde 1944 in San Antonio, Texas, geboren. In Chicago aufgewachsen, studierte er an der Columbia University. Heute lebt er in Vermont und arbeitet als Korrektor, Redakteur, Lektor und Autor für eine Vielzahl von Zeitschriften. Sein Roman Männer mit Erfahrung (im Original Go with me) wurde 2015 mit Anthony Hopkins, Julia Stiles und Ray Liotta verfilmt.

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

DER MACKER UND DER MORGENRÜCKEN

Am Dienstagmorgen um sieben stand Clemmie barfuß und im Bademantel an der Küchentheke und gab Milch in ihren Kaffee, als das Funkgerät krächzte. Clemmie hörte zu. Sie nahm einen Schluck Kaffee. Das Funkgerät verstummte. Clemmie wandte sich von der Theke ab.

«Was hat er gesagt? Ein Macker?», fragte sie.

Ich saß hinter ihr am Frühstückstisch. Ich sah ihren Rücken. Ihren Morgenrücken. Am Abend zuvor hatten wir uns mal wieder ein bisschen in die Haare gekriegt - nichts Ernstes, bloß ein kleines Sparringsmatch, ein Schaukampf. Trotzdem bekam ich nur ihren Rücken zu sehen. Wenn sie will, kann ihr Rücken so einladend sein wie die Nordflanke des Mount Nebo.

Die Meldung kam von Trooper Timberlake. Er war irgendwo am Ende der Welt, an der Diamond Mountain Road in Ulster, und er klang verwirrt.

«Das war Timberlake», sagte ich. «Ich werd dann mal.»

«Er hat was von einem Macker gesagt», sagte Clemmie. «Das hat er doch gesagt, oder? Was hat er damit gemeint?»

«Macker sind harte Männer», sagte ich. «So wie ich.»

«Na klar, so wie du», sagte Clemmie.

Das klang ganz gut, fand ich. Wenn ich es schaffte, die Tür ein Stück aufzustoßen, würde ich Clemmie vielleicht dazu kriegen hindurchzugehen. Ich legte noch ein bisschen nach.

«Es gibt Männer, die Macker sind», sagte ich, «und einer davon bin ich.»

«Wenn du ein Macker bist», sagte Clemmie, «ist alles ja noch viel schlimmer, als ich gedacht habe.»

Und weg war sie, hinter der Barrikade, wo sie Pflastersteine sammelte - nicht für jetzt vielleicht, aber für später. Ich trank meinen Kaffee und stand auf.

«Ich muss los», sagte ich.

«Willst du nicht erst frühstücken?», fragte Clemmie. «Iss wenigstens einen Toast.»

«Macker frühstücken nicht», sagte ich, ging zur Küchentür und nahm den Pick-up-Schlüssel vom Haken.

«Jetzt mal im Ernst», sagte Clemmie, «er hat doch was von einem Macker gesagt, oder? Was hat er damit gemeint?»

«Ich glaube nicht, dass er das gesagt hat», antwortete ich.

 

Trooper Timberlake war an der Ausweichstelle für den Schneepflug, kurz vor der Gemeindegrenze von Ulster. Ich hielt hinter seinem Wagen und konnte sehen, dass auf dem Rücksitz des Streifenwagens, hinter dem Gitter, jemand saß. Timberlake stieg aus und kam zu mir.

Timberlake war ungefähr fünfundzwanzig und wie gemacht für die State Police: mindestens eins fünfundneunzig, durchtrainiert, das Haar blond, aber so kurz geschnitten, dass die Haut durchschimmerte. Er sah aus wie das größte Baby der Welt, ein Baby, das, kaum geboren, schon einarmige Liegestütze gemacht hatte. Timberlake war, wie viele seiner Kollegen, vom Marine Corps zur State Police gekommen. Man muss nicht unbedingt der von den Toten auferstandene General Patton sein, um es dort zu etwas zu bringen, aber schaden kann es nicht.

«Der Mann war in einen Kampf verwickelt, Sheriff», sagte Timberlake. «Jemand hat ihn im Vorbeifahren gesehen und es gemeldet. Er war da drüben an einen Baum gebunden. Hat eine dicke Beule am Kopf und ein blaues Auge. Sein Arm ist auch irgendwie verletzt. Rettungswagen ist unterwegs.»

«Ihnen auch einen schönen guten Morgen, Trooper», sagte ich.

«Nicht viel aus ihm rauszukriegen», fuhr Timberlake fort. «Nur so viel ist klar: Er ist nicht aus der Gegend. Kann nicht mal Englisch - kann nicht oder will nicht. Schreit in irgendeiner Sprache herum, aus der ich nicht schlau werde. Irgendein Kauderwelsch.»

«Keine Kleider?»

«Korrekt, Sheriff. Keinen Faden am Leib.»

«Und an einen Baum gebunden?»

«Korrekt, Sheriff. An einen Baum gebunden, übel zugerichtet und splitternackt.»

«Dann wollen wir ihn uns mal ansehen», sagte ich.

Timberlake trat einen Schritt zurück, und ich stieg aus. Wir gingen zu Timberlakes Streifenwagen, auf dessen Rücksitz die Umrisse eines Mannes auszumachen waren.

Dirk van Gunsteren, geb. 1953 in Düsseldorf, ist ein deutscher literarischer Übersetzer aus dem Englischen und Niederländischen und freiberuflicher Redakteur. Van Gunsteren wuchs in Duisburg auf, seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Holländer. Nach mehreren Aufenthalten in Indien und in den USA studierte er in München Amerikanistik. Seit 1984 ist er als Übersetzer insbesondere aus dem Englischen tätig. Van Gunsteren lebt in München. 2007 erhielt van Gunsteren den 'Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis' für seine Übersetzung angelsächsischer Literatur.