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Das weiße FeldOverlay E-Book Reader

Das weiße Feld

Roman | Lenka Hornakova-Civade

E-Book (EPUB)
2017 Karl Blessing Verlag; Alma Editeur
272 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-641-20305-4

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'Eine raffiniert gewobene Familiensaga' (Libération) - ausgezeichnet mit dem Prix Renaudot des Lycéens 2016
Sie heißen Magdalena, Libusa und Eva und teilen dasselbe Schicksal: Sie wachsen jeweils ohne ihren leiblichen Vater auf. Aber statt an diesem Schicksal, das in den Augen ihrer Umgebung ein regelrechter Makel ist, zu zerbrechen, entwickeln sie jede auf ihre Art einen unbändigen Freiheitswillen: Magdalena, die mit ihrer Mutter Marie aus dem braun gewordenen Wien flieht. Libusa, die mit ihrer Neugierde auf die Außenseiter der uniformierten Gesellschaft ihre Umgebung in Atem hält. Und Eva, die als Linkshänderin pädagogische Umerziehungsprogramme sabotiert und von fernen Ländern träumt. Alle drei eint die Zuneigung zu ihrer ebenso mürrisch-verschlossenen wie unbeirrbar selbstbewussten, beinahe überlebensgroßen Großmutter 'Maman Maire', die sich als Hebamme im Dorf unentbehrlich zu machen verstand.

In einem Panoptikum unvergesslicher Charaktere - auf männlicher Seite: ein größenwahnsinniger Apparatschik, ein dichtender Tagträumer, ein patriarchalisch-humaner Bauer - entfaltet sich eine Familiengeschichte, deren großes Geheimnis erst auf den letzten Seiten seine Auflösung findet.

Lenka Hor?áková-Civade wurde 1971 in der Tschechoslowakei in der Provinz Mähren geboren und wanderte 1991 nach Frankreich aus. Sie studierte an der Sorbonne Ökonomie und Philosophie. Heute lebt sie als Malerin und Schriftstellerin in Südfrankreich. Das weiße Feld ist ihr erster in französischer Sprache geschriebener Roman.



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2

Alles hatte vor langer Zeit begonnen. Mit einem Schrei.

»Hören Sie auf! Hören Sie endlich auf, dieser Kuh nachzulaufen! Sie wird noch auf der Stelle Butter produzieren!« Selten habe ich so laut geschrien.

Der Mann schwankte und stolperte immer wieder. Zögernd setzte er einen Fuß vor den anderen. Er überlegte, als müsste er erst nachdenken, bevor er sich in Bewegung setzen konnte.

Die Kuh hatte in respektvollem Abstand vor ihm haltgemacht. Sie stand ihm gegenüber und neigte ihm neugierig den Kopf entgegen. In dieser Haltung kann ein solches Tier bedrohlich wirken, zumindest auf einen Mann, der sich mit Kühen überhaupt nicht auskennt. Das traf ganz offensichtlich auf ihn zu. Ich fragte mich, was er als Nächstes tun würde. Menschen, die sich in Gefahr glauben, sind immer unberechenbar. Er könnte einen Satz nach vorne machen, sich im Kreis drehen oder stundenlang wie festgewachsen stehen bleiben.

Also schrie ich jetzt noch lauter als zuvor: »Hören Sie auf, sie zu reizen!«, während ich auf ihn zulief.

Er fuhr hoch und drehte sich um sich selbst, bevor er abrupt innehielt. Jetzt erkannte ich ihn. Aber zuerst musste ich mich um die Kuh kümmern. Mit den Fingern packte ich den Saum meines zerknitterten Rocks, zog ihn in seiner ganzen Breite wie einen Fächer auseinander und postierte mich zwischen dem Mann und der Kuh. Sie hob den Kopf, meine Stimme beruhigte sie. Es war die junge Kuh, deren Fell ein glänzendes und weiches Braun hatte, eine meiner Lieblingskühe.

»Komm her, meine Kleine, hü, hü! Ganz ruhig, so ist es gut, geh zu deinen Freundinnen, hü, hü!«

Die Schöne mit dem braunen Fell veränderte ihre Stellung und schritt gemächlich zu den anderen am Bach unten hinab. Recht so.

Und in diesem Moment fiel mir auf, dass der Mann Kuhaugen hatte. Nie zuvor hatte ich solche Augen gesehen, schon gar nicht bei einem Mann. Rund und blau ... was für eine Farbe, dieses helle Blau.

»Ich laufe niemandem hinterher, sie verfolgt mich«, sagte er, während er lächelnd sein Hemd glatt zog. »Es ist lange her, dass ich zum letzten Mal zu Hause war«, fuhr er fort und blickte dabei der Herde nach, die sich entfernte. »Arbeiten Sie für uns?«

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass man mich siezte. Zuerst dachte ich, dass jemand hinter mir stand, und hätte mich beinahe umgedreht. Aber da waren nur die Kühe, das wusste ich genau.

Natürlich arbeitete ich in diesem Haus, dem größten und reichsten im ganzen Dorf. Mit seiner Mühle und seiner Keksfabrik war es mit Abstand das schönste Gehöft in der Gegend. Es lag außerhalb der Ortschaft. Normalerweise befinden sich die Bauernhöfe in der Mitte des Tals, aber dieser befand sich oberhalb davon. Die Gebäude bildeten ein Geviert, das schöne holzgeschnitzte Tor schloss den Hof ab, dem Tor gegenüber befand sich das Haupthaus und an den Seiten die Ställe und Schuppen. Vierseithöfe waren in dieser Gegend eine Seltenheit, die meisten waren L-förmig angelegt. Die Mühle lag weiter unten am Bach.

Man hatte mich hierhergeschickt, weit weg von meinem Zuhause, von meiner noch kleinen Schwerster, damit ich meinen Lebensunterhalt verdiene. »Du wirst im Trockenen schlafen, ausreichend zu essen bekommen, dich waschen können, und man wird dich nicht schlagen.« So hatte Aloïs mein zukünftiges Leben zusammengefasst, als er mich fortschickte, zum Teil, um mich zu trösten, vor allem aber, damit ich mich damit abfand, dass ich Marie, meine Mutter und seine Frau, verlassen musste. Es war seine Entscheidung gewesen, mich in einem anderen Ort arbeiten zu lassen. Dennoch bin ich auch nach dem Tod von Aloïs auf diesem großen Gehöft oberhalb des Tals geblieben. Inzwischen, nach fast vier Jahren, hatte ich hier auch etwas zu sagen. Ich kümmerte mich um die Kühe und die Hühner und half in der Küche.

Die Kühe sammelten sich weiter unten auf der Wiese, wo am Rand des Ulmen- und Pappelwäldchens ein Bach floss. Dort fa