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Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte

Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte

Jahrgang 28,1 | Leonid Luks; Gunter Dehnert; Nikolaus Lobkowicz; Alexei Rybakow; Andreas Umland; Marina Tsoi

Taschenbuch
2024 Ibidem
21 cm x 14.8 cm
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-8382-1965-3

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€ 35,40

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Die Revolutionen in Europa beginnen immer auf Straßen und Plätzen. Träger sind die unteren Schichten der Gesellschaft von den Tagelöhnern bis zu den Handwerksmeistern, öfters unterstützt von Journalisten, Studenten und meist freiberuflichen Akademikern. Diese liefern in der Regel das ideologische Rüstzeug, sie sind manchmal die intellektuellen Antreiber, gelegentlich die Strategen des Straßenkampfes.



Dennoch ist das verbindende Element aller Umwälzungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deren bürgerlicher Charakter. Das Bürgertum bereitete sie dadurch vor, dass es seine Ideen der Neuordnung von Staat und Gesellschaft in Klubs und Medien propagierte und damit die Legitimität der monarchischen und aristokratischen Führungsrolle untergrub. Wenn auch nicht allein und auch nicht durchgehend, so hat es doch überwiegend den Gang der Entwicklung bestimmt. Dazu dienten ihm nicht zuletzt die Provisorischen Regierungen. Sie waren wie auch die Parlamente seine Institutionen. Mit ihnen strebten sie das genuin bürgerliche Revolutionsziel an: die Neuordnung des politischen Verbandes durch eine Verfassung konstitutionellen Typs…



Da das Bürgertum nicht auf eine radikale Umgestaltung der Machtverhältnisse aus war, blieb der Adel in seinen Entwürfen ein Faktor der Politik. … 



Man könnte einen ironischen Widerspruch darin sehen, dass keine Revolutionsregierung im Europa der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Institution von Revolutionären war. Dies gilt dann, wenn die Bezeichnung „Revolutionäre“ im landläufigen Sinne verwendet wird für die in den Straßen für die Besserung ihres Loses kämpfenden Massen. Zwischen dieser meist unorganisierten, wenig planvoll vorgehenden und vor Gewalt nicht zurückschreckenden Revolution und der institutionalisierten bürgerlichen bestand ein dialektisches Verhältnis. Es trat unmittelbar in der Beziehung dieser Massen zu den Revolutionsregierungen zutage. Deren Durchschlagskraft hing, solange gegen die alten Kräfte gekämpft wurde, ganz entscheidend von dem Druck ab, der von den Unterschichten ausging. War der Gegner überwunden, dienten die Regierungen oft als Instrument, um den bisherigen Kampfgefährten von der Macht fernzuhalten.



 (Aus dem Beitrag von Karsten Ruppert)