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Die JungfrauOverlay E-Book Reader

Die Jungfrau

Roman | Monika Helfer

E-Book (EPUB)
2023 Carl Hanser Verlag Gmbh & Co. Kg
Auflage: 1. Auflage
152 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-446-27884-4

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Zwei Jugendfreundinnen - die eine reich, die andere arm. Nach einem halben Jahrhundert begegnen sie sich wieder. Der neue Roman von Monika Helfer.
Gloria und Moni sind beste Jugendfreundinnen - die eine reich, die andere arm. Ein halbes Jahrhundert später begegnen sich die beiden Frauen wieder und Gloria beichtet ihr Lebensgeheimnis: Nie hat sie mit jemandem geschlafen. Früher kam Gloria immer gut an, war exzentrisch und schön, wollte Schauspielerin werden, war viel unter Menschen. Gloria und Moni wachsen auf im Mief der sechziger Jahre, sind konfrontiert mit Ehe, Enge und Gewalt. Wie wurden die beiden zu denen, die sie sind? Monika Helfer macht aus Lebenserinnerung große Literatur. Nach der Trilogie über ihre Familie und Herkunft ist 'Die Jungfrau' ein atemloser Roman über die jahrzehntelange Freundschaft zwischen zwei Frauen.

Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat zahlreiche Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht. Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, dem Solothurner Literaturpreis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis ausgezeichnet. Mit ihrem Roman Schau mich an, wenn ich mit dir rede (2017) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert. Für Die Bagage (Roman, 2020) erhielt sie den Schubart-Literaturpreis 2021 der Stadt Aalen. Zuletzt erschienen von ihr bei Hanser die Romane Vati (2021), mit dem sie erneut für den Deutschen Buchpreis nominiert war, und Löwenherz (2022).

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Erstes Kapitel

Ich fürchte Überraschungen, wie Vögel Überraschungen fürchten.

An meinem 70. Geburtstag bekam ich Post von meiner Schulfreundin Gloria. Als ich den Brief öffnete, sah ich, dass er von jemand anderem geschrieben worden war, von Glorias Nichte. Ihre Tante habe ihr aufgetragen, mit mir in Verbindung zu treten. Sie wolle mich noch einmal sehen, bevor sie sterbe. Es las sich wie ein Befehl. Obwohl kein Rufzeichen da war. Aber ich meinte die Stimme zu hören, die den Brief diktiert hatte.

Ich wollte sie nicht verlieren. Also fuhr ich mit dem Zug nach Bregenz, ging zu Fuß bis zu den Villen am Hang, stand vor dem Haus, niemand öffnete mir. Das Gartentor, so vertraut, jetzt verrostet, die dreizehnte Fee war hier gewesen. Ich ging nach hinten in den Garten, der überwuchert war, eine Machete hätte ich gebraucht, um durchzukommen bis zu dem Platz, wo die Steinbank gestanden hatte und vielleicht immer noch stand. Von unten war sie nicht zu sehen. Als Sechzehnjährige meinte ich von dort aus besser in die Welt hinaus träumen zu können als von jedem anderen Platz. Oft hatte ich Gloria nur besucht, um mit ihr auf der Steinbank zu sitzen. Sie war der vornehmste Gegenstand in meinem Leben. Wenn mir Gloria erlaubt hätte, allein dort zu sitzen, wenn sie mir eine Tasse Tee gebracht hätte, ich wäre grundzufrieden gewesen. Und sie wäre eifersüchtig gewesen. Und zornig. Weil ich es mir erlaubte, mit mir allein so zufrieden zu sein.

Ich war bei meiner Tante untergebracht, eng und laut, in der Südtirolersiedlung, zusammen mit meinen beiden Schwestern. Der Tee bei Gloria zu Hause schmeckte anders. Dass Tee verschiedene Namen haben konnte, hatte ich bis dahin nicht gewusst. Bei uns hieß er: Schwarztee. Bei Gloria wurde unterschieden - Earl Grey, Darjeeling, Assam, Ceylon. Am elegantesten schmeckte mir Earl Grey. Wahrscheinlich, weil mir Gloria erzählt hatte, er sei nach einem englischen Adeligen benannt. Mein Onkel Theo, der dafür sorgte, dass meine Schwestern und ich zu essen und eine Matratze zum Schlafen hatten, der hätte diesen Tee schon aus Prinzip nicht getrunken, weil er alle Adeligen für Halunken hielt. Das war ein weiterer Grund, warum ich ihn »bevorzugte«. Ja, so drückte ich mich aus. Auf Glorias Frage, was für einen Tee ich wünsche, antwortete ich: »Ich bevorzuge Earl Grey.«

Der Garten war, als hätte ich ihm aus der Ferne zugesehen, wie er älter und alt wurde, vertraut und zugleich einschüchternd, was wusste ich denn, was er erfahren hatte in den vielen Jahren. Ich rief Glorias Nichte an, sie hatte ihre Nummer unter ihren Namen gesetzt und neben den Namen in Klammern: »Tante Glorias Nichte«. Alles so klein, dass es wieder wie ein Befehl wirkte, einer diesmal, der sich mit Schüchternheit tarnte. Das bildete ich mir alles nur ein, ganz gewiss. Gloria war immer eine gewesen, die meine Einbildungskraft anzündete, zu schönen Bildern und zu weniger schönen.

Ich bangte, ich könnte zu spät gekommen sein. Bangte, die Stimme der Nichte am Telefon würde dunkel werden, sobald ich meinen Namen ausgesprochen hätte. Ich sagte, ich stünde vor dem Haus, hätte schon dreimal geklingelt. Ihre Tante höre schlecht, ich solle mir keine Sorgen machen. Sie wohne ums Eck, sie komme gleich. Ich solle mich derweil auf die Bank an der Hauswand setzen.

Diese Bank war neu. Ich kannte sie nicht, eine aus Holz, schwarz von Algen. Vielleicht war sie als Ersatz für die steinerne oben im Garten aufgestellt worden. Weniger vornehm.

Es war Oktober, ich fror, war ungeeignet angezogen, hatte meinen besten Mantel über, einen schwarzen Trenchcoat, der gut in den April gepasst hätte, darunter mein blaues Kleid, ein teurer, dünner, jugendlicher Fetzen, kniehohe Stiefel, das alles, um Gloria zu imponieren.

Zu wem gehörte die Nichte? Gloria hatte einen Nachzüglerbruder, das hatte ich gewusst. Der hatte aber nie eine Rolle gespielt. Einmal hat