Suche

Die falschen Freunde der einfachen LeuteOverlay E-Book Reader

Die falschen Freunde der einfachen Leute

Robert Misik

E-Book (EPUB)
2019 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
160 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-518-76375-9

Rezension verfassen

€ 15,99

in den Warenkorb
  • EPUB sofort downloaden
    Downloads sind nur in Österreich möglich!
  • Als Taschenbuch erhältlich

Alte Parteien verschwinden, neue tauchen auf, die Leitplanken des Diskurses verschieben sich. So chaotisch die politische Situation sich darstellt, so unübersichtlich ist das Angebot an Deutungen für den Aufstieg des autoritären Nationalismus: Die einen erklären ihn mit Politikverdrossenheit und amorpher Wut, andere mit ökonomischen Faktoren wie Globalisierung und wachsender Ungleichheit, wieder andere führen ihn auf die vermeintliche kulturelle Abwertung von Menschen mit konventionellen Werten und Lebensstilen zurück.

Für sich genommen, so Robert Misik, ist jede dieser Erklärungen viel zu simpel gedacht. Ökonomische und psychopolitische Dynamiken schaukeln sich hoch. Die verborgenen Verwundungen in einer Klassengesellschaft brauchen multikausale Erklärungen - und radikale Antworten.



Robert Misik, geboren 1966 in Wien, ist Journalist und politischer Schriftsteller. In der edition suhrkamp erschien zuletzt sein Essay Die falschen Freunde der einfachen Leute (es 2741), der mit dem Bruno- Kreisky-Preis für das Politische Buch 2019 ausgezeichnet wurde.

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Einleitung:
Kleiner Mann, was nun?

Man könnte leicht dem Eindruck erliegen, in der Geschichte wäre den »einfachen Leuten« selten mehr Aufmerksamkeit zuteilgeworden als heute. Sie sind in aller Munde. Jeder sorgt sich um »das Volk«. Die politische Essayistik seziert seine Probleme und staunt über sein Tun. Die Wissenschaft befasst sich mit seinen Verwundungen. Die Sozialpsychologie denkt sich in ihn ein - in den viel zitierten »kleinen Mann«. Die einfühlende Soziologie schwärmt aus und hört ihm zu, sammelt und systematisiert seine Erzählungen, die Beschwernisse seines Lebens und seine Wünsche.

Ressentimentgetriebene Populisten und Rechtsextremisten wiederum schwingen sich zu den Fürsprechern der »einfachen Leute« auf, für die sich, so wird durchaus begründet behauptet, die »Eliten« nicht mehr interessieren. Demokratische Linksparteien wiederum versuchen verzweifelt zu ergründen, warum die kommunikativen Fäden zu den »normalen Leuten« abgerissen sind. Sehr oft ist dieses Nachdenken überaus voraussetzungsreich: Mal wird unterstellt, das »einfache Volk« sei gewissermaßen dumm und deshalb leicht manipulier- und verhetzbar; dann wiederum, es sei im Innersten gut, trage das Herz am rechten Fleck. In ihm schlummere gewissermaßen das »Echte«, das »Wahre« und vor allem ein egalitärer Geist, der von rechtsextremen Protestpolitikern lediglich fehlgeleitet werde. Beliebt ist auch die Deutung, die demokratischen Linksparteien seien zwar gleichsam die natürliche Vertretung dieser kleinen Leute, hätten vor dieser historischen Aufgabe aber versagt, indem sie sich an den Neoliberalismus anpassten. Dabei schwingt dann leicht die Diagnose - oder Rezeptur - mit, diese Parteien müssten nur wieder eine Sozial- und Wirtschaftspolitik betreiben, die die »ökonomischen Interessen« der normalen Leute ins Zentrum rücke, und schon würden die Angehörigen der entsprechenden Milieus, verlorenen Schäfchen gleich, zu ihren angestammten Vertretungen zurückkehren. Also: Reichensteuern, bezahlbare Pflege, ordentliche Mindestlöhne, günstige Wohnungen schaffen, einen zweiten Arbeitsmarkt für diejenigen, die am normalen Arbeitsmarkt keine Chancen mehr haben, und hundert weitere Maßnahmen - und schon wäre das Glaubwürdigkeitsproblem aus der Welt. Nicht immer, aber sehr oft geht mit dieser Deutung ein regelrechter Proletkult einher, der alles, was »das Volk« so denkt, fühlt, treibt und liebt, mit einer Romantik des Authentischen verbindet, und dessen Anhänger sich ein Volk imaginieren, das voller Würde, Großzügigkeit, Lebendigkeit ist, getragen von einer Moral, die zweifellos besser sei als die heute hegemonialen Ethiken, die Erfolg vergöttern, eine Winner-Mentalität stärken und einem Kult des Individuellen huldigen.

Zu den stillschweigenden Voraussetzungen zählt natürlich auch, dass dieses »einfache Volk« auf der sozialen Stufenleiter irgendwo im unteren Bereich, jedenfalls keineswegs im oberen Segment zu finden ist. Freilich bleibt die soziale Standortbestimmung meist im Ungefähren. Selten werden die »einfachen Leute« pauschal als die Unterschicht oder als die Armen definiert. Eher ist es ein Puzzle von Milieus und Lebenslagen, zu denen gehören: die Armen und die Unterschichten, die unteren und die mittleren Mittelschichten. Menschen, die am Land oder in kleinen Städten wohnen. Arbeitslose um die fünfzig, der Installateur, der im Sozialbau lebt, aber auch Facharbeiterinnen, Verkäufer und sogar mittlere Angestellte mit Einfamilienhaus und zwei Autos in der Einfahrt. Weiters die Bewohner unterprivilegierter Stadtviertel, der Scherbenviertel, in denen man von Gentrifizierung noch nichts gesehen oder gehört hat und in deren Hauptstraßen die Eckkneipen und Nahversorgungsläden nach und nach zusperren, wo die Geschäfte leer und zugenagelt sind oder wo höchstens Dönerbuden und Wettbüros aufmachen. Wenn schon nicht der Kontostand, dann, so lautet die - gelegentlich explizite, meist jedoch implizite - Vermutung, verbin