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Wie frei ist die Kunst?

Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus | Hanno Rauterberg

E-Book (EPUB)
2018 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
100 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-518-76045-1

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Gemälde werden abgehängt, Skulpturen vernichtet, Filmhelden ausradiert: Ein heftiger Kulturkampf durchzieht die Museen, Kinos und Theater. Sogar ein Gedicht wird übermalt. Droht das Ende der Kunstfreiheit, wie manche sagen? Eine Zensur von unten? Oder ist es höchste Zeit, wie andere meinen, dass die Kulturwelt der Metoo-Bewegung folgt und mehr Gleichheit einklagt? Hanno Rauterberg zeigt, was sich hinter der Debatte um Moral und Ästhetik verbirgt: Warum wirken Bilder so bedrohlich? Gefährdet politische Korrektheit die Autonomie der Künstler? Und wieso streiten wir gerade heute über diese Fragen? Ein Essay über die wichtigste Kunstdebatte seit Langem, die viel verrät über die Krise des Liberalismus und die neuen Tabus einer sich wandelnden Gesellschaft.



Hanno Rauterberg, geboren 1967, ist promovierter Kunsthistoriker und schreibt als Redakteur im Feuilleton der Wochenzeitung DIEZEIT regelmäßig über Architektur und Stadtentwicklung.



Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

7Einleitung oder: Wie unfrei ist die Gegenwart?

Die Kunst war immer auch Gegner, ein Hassobjekt, ein Popanz, der unbedingt zerstört werden muss. So ziemlich jedes Mittel schien dafür recht. Gleich mehrfach kam ein Teppichmesser zum Einsatz, um die Gemälde von Barnett Newman aufzuschlitzen. Mit einem Hammer ging es gegen den David von Michelangelo, mit einem Hackebeil gegen die Venus vor dem Spiegel von Diego Velazquez. Sogar Schrotflinten dienen gelegentlich der Kunstvernichtung, so wie bei einer Zeichnung von Leonardo da Vinci, die man aus drei Metern Entfernung beschoss. Das Lieblingsobjekt der Ikonoklasten ist und bleibt aber die Mona Lisa: Sie wurde mal mit Säure angegriffen, mal mit roter Farbe, einer warf einen Stein auf das Bild, ein anderer einen Kaffeebecher, erworben im Souvenirshop des Louvre. Nichts in der Kunst ist sicher.

Offenbar weckt sie in einigen Menschen das schier unbezähmbare Verlangen, ihre eigene sterbliche Existenz mit der Unsterblichkeit der Kunst zu konfrontieren. Ungezählt sind die Opfer dieser Wut, unüberschaubar die politischen, religiösen, manchmal auch dem Irrsinn geschuldeten Motive der Täter. Diese Täter wähnen sich nicht selten als die eigentlichen Opfer, sie sagen, ästhetische Übermächte hätten sie dazu verführt, einem Porträt die Augen auszustechen oder einer Skulptur den Kopf abzuschlagen. In jedem Fall zeigt sich im Furor der Attacke, welche Macht die vermeintlich ohnmächtige Kunst zu besitzen vermag. Im Augenblick ihrer Auslöschung offenbart sich ihre still gehütete Gewalt.

Allerdings braucht es so weit gar nicht erst zu kommen. In 8einer liberalen Gesellschaft, die viel gibt auf ihre Museen, ihre Theater, Kinos und Konzerthäuser, reicht oft schon die angedrohte Vernichtung oder Verdrängung eines Werks, um allgemeines Entsetzen auszulösen - und damit die verblüffende Wirkmächtigkeit der Kunst zu bestätigen. So war es, als ein Gedicht von Eugen Gomringer auf der Fassade einer Berliner Hochschule übermalt werden sollte - und allein dieser Beschluss die höchsten politischen Kreise der Bundesrepublik derart aufbrachte, dass die Kulturstaatsministerin Monika Grütters von einem »erschreckenden Akt der Kulturbarbarei« sprach und der Deutsche Kulturrat vor den »Konsequenzen einer solchen Zensur« warnte.1 Ähnlich verhielt es sich, als in Manchester vorübergehend ein Nymphen-Bildnis des Präraffaeliten John William Waterhouse abgehängt wurde - und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp dies prompt als Indiz dafür verstand, dass die Freiheit der Kunst gefährdet sei: »Uns trennt nurmehr eine papierdünne Wand vor dem, was die 'Entartete Kunst' und der gedankliche Rahmen der Säuberung einmal fabriziert haben.«2

In beiden Fällen ging es nicht um Teppichmesser oder Säu9re, nicht um Zensur oder ikonoklastische Zerstörung, es ging lediglich darum, ein Kunstwerk dem öffentlichen Blick zu entziehen. Das Gomringer-Gedicht wurde nicht ausgelöscht und für immer verboten; jeder, der möchte, kann es weiterhin lesen, in gedruckter oder digitaler Form, einzig auf der besagten Berliner Häuserwand nicht. Das Waterhouse-Gemälde musste nur wegen einer institutionskritischen Performance für kurze Zeit ins Depot; nun wird es - nach einer Abwesenheit von wenigen Tagen - wieder in der ständigen Sammlung des Museums in Manchester gezeigt. Die alarmierten Reaktionen mögen somit auf den ersten Blick verwundern. Grütters wie Bredekamp verweisen mit ihrer Wortwahl - »Kulturbarbarei«, »Säuberung« - auf jene kunstfeindlichen Zeiten, als tatsächlich Bücher und Bilder verbrannt wurden, man Künstler verfolgte und die Freiheit der Kunst systematisch zersetzte. Von dieser Art systematischer Auslöschung kann indes in den liberalen Demokratien des Westens keine Rede sein. Wenngleich rechtspopulistische