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Von Mitterrand zu Macron

Über den Kollaps des französischen Parteiensystems | Bruno Amable; Stefano Palombarini

E-Book (EPUB)
2018 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
180 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-518-75988-2

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Mit den Wahlen 2017 implodierte das Parteiensystem der V. Republik: Gaullisten und Sozialisten mussten dramatische Verluste hinnehmen, dafür bestimmten Le Pen, Mélenchon und Macron mit seiner Bewegung »En Marche!« die Szenerie. Für die Autoren ist dafür auch die »Regierungslinke« verantwortlich: Nach dem Scheitern der ambitionierten Reformen zu Beginn der Präsidentschaft Mitterrands hätten die Sozialisten ihre traditionelle Wählerschaft vernachlässigt und sich in der Hoffnung, man könne in der Mitte einen neuen, »bürgerlichen Block« schmieden, einer neoliberalen Politik verschrieben. Während Macron mit den verbliebenen »Modernisten« regiert, werden »souveränistische« Gegenstimmen immer lauter. Eine brillante Analyse, die auch die Umbrüche in der hiesigen Parteienlandschaft in ein neues Licht rückt.



Bruno Amable, geboren 1961, ist Professor für Ökonomie an der Universität Genf.



Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

20Einleitung

Die französische Politik befindet sich im Umbruch. Zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs 2017 erzielten unabhängige Kandidaten - Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon - wie auch eine Partei, die als »gegen das System gerichtet« gilt, der Front National, in Umfragen beträchtliche Stimmenanteile. Die politischen Parteien, die in der 5. Republik Regierungsverantwortung übernommen haben, sind eindeutig geschwächt, während der scheidende Präsident François Hollande darauf verzichtete, sich um eine zweite Amtszeit zu bewerben. Diese Fragmentierung des politischen Spektrums geht mit einer Vervielfachung der Themen einher, bei denen die Programme der Präsidentschaftskandidaten unterschiedliche Positionen vertreten. Die Beteiligung am Aufbau Europas, die Einbindung in die Weltwirtschaft, das Arbeitsrecht, die soziale Absicherung, die Finanzierung der Renten - das alles sind Bereiche, in denen die früheren Kompromisse infrage gestellt werden und die Zukunftspläne divergieren.

Der politische Konflikt bezieht sich nicht mehr nur auf die »üblichen« Instrumente der Wirtschaftspolitik - Staatsausgaben, Steuern, Höhe des Mindestlohns usw. -, sondern unmittelbar auf die Institutionen, die den französischen Kapitalismus strukturieren: Manche Strategien möchten deren Besonderheiten verteidigen, andere wollen sie radikal nach neoliberalen Prinzipien umgestalten. Daher hängen die politische Krise und der Konflikt über die Institutionen zusammen, und zwar in zweierlei Hinsicht: Das Bestreben, den französischen Kapitalismus an neoliberalen Regeln auszurichten, das in den vergangenen dreißig Jahren vornehmlich 21von der Sozialistischen Partei getragen wurde, ist eine der Ursachen der politischen Krise; und diese politische Krise, also das Zerbrechen alter gesellschaftlicher Allianzen, veranlasst die politischen Entscheidungsträger, auf bestimmte institutionelle Veränderungen zu setzen, um die Entstehung gänzlich neuer Bündnisse zu erleichtern.

Zu Beginn der achtziger Jahre ließ sich die politische Konfrontation als Gegensatz zwischen zwei relativ klar konturierten gesellschaftlichen Blöcken zusammenfassen, die einen Großteil der französischen Gesellschaft repräsentierten. Der linke Block umfasste die Mehrzahl der gering qualifizierten Lohnempfänger und Beschäftigten im öffentlichen Dienst; der rechte Block stützte sich auf intermediäre Berufe4 und Führungskräfte der Privatwirtschaft, Selbständige und Landwirte. Die politische Entwicklung der vergangenen dreißig Jahre fällt zeitlich mit dem fortschreitenden Zerfall dieser beiden gesellschaftlichen Allianzen zusammen. Zur Erinnerung: Die Kandidaten des linken (François Mitterrand und Georges Marchais) und des rechten Blocks (Valéry Giscard d'Estaing und Jacques Chirac) vereinigten beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen 1981 ganze 87,5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich; rechnet man den Kandidaten der Umweltschutzpartei hinzu, so kommt man auf 91 Prozent der Stimmen. Bis zu den Präsidentschaftswahlen 2017 war ihr Anteil auf vierzig Prozent gefallen.5

22Es wäre falsch anzunehmen, in Frankreich fände ein plötzlicher Umbruch der politischen Landschaft statt: Vielmehr erleben wir gerade die Endphase einer langen Dynamik, die vor über dreißig Jahren begonnen hat. Bereits 2002 signalisierte die Tatsache, dass Präsidentschaftskandidat Jean-Marie Le Pen es in die Stichwahl schaffte, eine erhebliche politische Krise. Lediglich eine äußerst oberflächliche Analyse der damaligen politischen Lage erlaubte es, die Zersplitterung der Linken durch mehrere Bewerber ihres Lagers als Hauptursache für das Ausscheiden des sozialistischen Kandidaten im ersten Wahlgang auszumachen, obwohl die »Regierungsparteien« - der Rechten, der Mitte und der Linken zusammen - nicht mehr als sechzig Prozent der Stimmen erzielten. D