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Über Carl reden wir morgenOverlay E-Book Reader

Über Carl reden wir morgen

Roman | Judith W. Taschler

E-Book (EPUB)
2022 Paul Zsolnay Verlag
Auflage: 1. Auflage
464 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-552-07302-9

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'Judith W. Taschler versteht es, den Leser zu fesseln.' (Sebastian Fasthuber, Falter) - Nach 'Die Deutschlehrerin' ihr neuer großer Familienroman über drei Generationen
Fast hat man sich in der Hofmühle damit abgefunden, dass Carl im Krieg gefallen ist, als er im Winter 1918 plötzlich vor der Tür steht. Selbst sein Zwillingsbruder Eugen hätte ihn fast nicht erkannt. Eugen ist nur zu Besuch, er hat in Amerika sein Glück gesucht und vielleicht sogar gefunden. Wird er es mit Carl teilen? Lässt sich Glück überhaupt teilen? Judith W. Taschler hat einen großen Familienroman geschrieben. Über drei Generationen verfolgen wir gebannt das Schicksal der Familie Brugger, deren Leben in der Mühle vor allem die Frauen prägen. Das einfühlsame Porträt eines Dorfes, ein Buch über Abschiede und die Liebe unter schwierigen Vorzeichen, über den Krieg und die unstillbare Sehnsucht nach vergangenem Glück.

Judith W. Taschler, geboren 1970 in Linz, wuchs mit sechs Geschwistern, vielen Tieren und Büchern in einem großen, gelben Haus im Mühlviertel auf. Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte unterrichtete sie einige Jahre lang. Sie lebt in Innsbruck. Für ihren Bestseller-Roman Die Deutschlehrerin erhielt sie 2014 den Friedrich-Glauser-Preis. Zuletzt erschien bei Zsolnay der Roman Über Carl reden wir morgen (2022). Weitere Bücher u.a.: Sommer wie Winter (Roman, 2011), Apanies Perlen (Erzählband, 2014), Roman ohne U (2014), bleiben (Roman, 2016), David (Roman, 2017), Das Geburtstagsfest (Roman, 2019).

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

2

Die Sache mit dem Glück beschäftigte Albert bereits als Kind, besonders was das weibliche Geschlecht betraf, zerbrach er sich den Kopf darüber. Im Alter von sieben Jahren erlebte er mit, wie ein Kind zur Welt kam, und die Angelegenheit erschreckte ihn zutiefst. Wochenlang fragte er sich, warum die Frauen beim Gebären derart leiden mussten, und kam zu keinem richtigen Schluss. Er wusste nur eines: Großes Glück hatte ein Mann allein schon deshalb, weil er als Mann geboren worden war, zusätzlich konnte er dann noch sein Glück machen, indem er tüchtig war und es zu etwas brachte. Wohingegen eine Frau nur von Glück reden konnte, wenn sie bei einer Geburt nicht elendig starb. Er war froh, als Bub zur Welt gekommen zu sein.

Sein Vater Anton war derjenige, der die Hebamme holte, da ihn der werdende Vater darum bat. Dieser war Knecht beim Schmied und wohnte mit seiner Frau bei seiner Mutter auf einem kleinen Hof mit nur einem Feld und zwei Kühen, nicht weit entfernt von der Hofmühle. Er stand um die Mittagszeit in der Tür und knetete seinen Hut in den Händen, während er mit hochrotem Kopf seine Bitte vortrug. Er selbst besaß nicht einmal ein langsames Ochsenfuhrwerk und wusste von der Stute, die der Hofmüller vor einem Jahr gekauft hatte. Die Hebamme hatte er in ihrem Haus nicht angetroffen, von ihrem Gatten wusste er, dass sie sich bei einer Wöchnerin im Nachbarort aufhielt. Dorthin würde er zu Fuß länger als eine Stunde brauchen.

»Meine Frau liegt schon seit gestern Abend in den Wehen, und mir scheint, es stimmt was nicht«, sagte der Mann verlegen. »Ich würd dich sonst nicht fragen, Hofmüller.«

Während ihm Anton noch ungläubig ins Gesicht schaute - er wunderte sich, warum der Mann nicht schon früher die Hebamme holen gegangen war und auch warum er mit seiner Bitte nicht zu seinem Arbeitgeber ging -, scheuchte Rosa bereits Albert in den Stall.

»Leg der Mari das Geschirr und das Zaumzeug an«, sagte sie zu ihm, während sie in den Mantel schlüpfte. Zu ihrem Bruder gewandt sagte sie: »Ich hab seiner Frau Hilfe angeboten.«

Anton seufzte und schüttelte den Kopf. Seitdem seine Schwester aus Wien zurückgekommen war, konnte sie es nicht lassen, sich bei den Armen im Dorf als große Retterin in der Not aufzuspielen, obwohl er sie immer wieder gebeten hatte, in der Hinsicht etwas zurückhaltender zu sein. Güte wurde ausgenutzt, war seine Meinung, oder anders ausgedrückt: Gibt man dem Teufel den kleinen Finger, so greift er nach der ganzen Hand.

Albert begleitete seinen Vater, durfte ab und zu die Zügel halten. Auf dem Rückweg saß die Hebamme vorne am Bock, sie trieb Anton zur Eile an, er redete kein Wort mit ihr. Albert spürte, dass seinem Vater die Situation nicht behagte: Er musste die teuer erstandene Stute, die er wie seinen Augapfel hütete, für etwas schinden, das ihm keinerlei Nutzen brachte. Er tat einem Mann, den er nicht ausstehen konnte, einen Gefallen, indem er eine Frau im Nachbarort abholte, die er ebenfalls nicht sonderlich leiden konnte. Schließlich jagte er das Pferd im Galopp bis zum Hof des Mannes, er wollte keine schlechte Nachrede im Ort haben. Die Frau bedankte sich, kletterte vom Wagen und verschwand im Haus, der Vater stieg ebenfalls ab und tätschelte sorgenvoll Maris schweißnassen Hals und Bauch.

»Ich muss sie trockenreiben, sonst wird sie krank. Das hätte mir noch gefehlt«, sagte er. »Steig ab. Du fragst deine Tante, ob sie etwas braucht, und kommst dann nach Hause.«

Mit flauem Magen und zittrigen Knien - er war bei der rasanten Fahrt ziemlich durchgerüttelt worden - stand Albert im Hausflur. Aus der Kammer hinter der Küche drangen furchtbare Geräusche, er konnte sich nicht erklären, wie ein Mensch in der Lage sein konnte, solche Laute von sich zu geben, ihm wurde übel. Die Tür öffnete sich, und er hörte die Hebamme mit dem Mann schimpfen: »Warum hast mich nicht früh