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Keine halben Sachen

Roman. Ausgezeichnet mit dem Peter-Härtling-Preis 2019. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020, Kategorie Jugendbuch | Antje Herden

E-Book (EPUB)
2019 Beltz
144 Seiten; ab 14 Jahre
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-407-75801-9

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€ 5,99

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Robin, 15, ist pubertär, einsam und gelangweilt, als er Leo trifft, der so cool und selbstsicher ist, wie es Robin gern wäre. Leo verführt ihn zum Rauchen, Kiffen, Saufen. Sie lernen Anna und Karla kennen. Und durch Karla erfährt Robin, was ein richtiger Rausch ist, körperlich und geistig. Während Leo unverändert gelassen bleibt, stürzt Robin ab. Robin erzählt die Geschichte seines Absturzes, direkt, schonungslos. Er teilt Leo alle seine Ängste und Hoffnungen mit. Erst am Ende wird er merken, dass das noch lange nicht alles war, dass seine Realität eine andere ist. Und, dass Leo vielleicht gar nicht so über den Dingen steht, wie Robin glaubt.

Antje Herden, 1971 in Magdeburg geboren, studierte kurz Chemie und lange Architektur und reiste durch die Welt. Seit 2004 schreibt sie Romane und Kurzgeschichten für Erwachsene und arbeitete als Redakteurin. 2010 erschien ihr erster Kinderroman. Antje Herden hat zwei Kinder und lebt als freie Autorin in Darmstadt.

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1. Teil

Ich sah dich das erste Mal vor unserem Haus. Plötzlich standst du da, so, als hätte dich der Morgenwind in die Toreinfahrt getrieben. Shirt, Jeans und Hoodie in der Farbe meiner Laune. Zu Grau verwaschenes Schwarz.

Du zündetest dir eine Selbstgedrehte an. Der Geruch stach mir in die Nase. Ein kurzes sehnsüchtiges Zwicken.

Doch für so etwas blieb keine Zeit. Wie jeden Morgen war ich genau dieses Quäntchen zu spät, das meine Lehrer inzwischen auf die Barrikaden trieb. Dabei wohnte ich nur zwei Minuten von der Schule entfernt.

Aber eben diese zwei Minuten verlangten mir alles ab. Eine unfassbare Müdigkeit hielt mich morgens fest in ihren Klauen. Außerdem wollte ich überall sonst sein, nur nicht hier: auf dem Weg in die Schule, die ich hasste. Die öden, dahinkriechenden Stunden, meine langweiligen Mitschüler, die enttäuschten Lehrer, diese ganze Lebenszeitverschwendung.

»Auch einen?« Dein Grinsen war breit. Breiter, als es eine normale Zigarette verursacht haben könnte.

Was für 'n Idiot, kifft vor der Schule?! Für's Kiffen konnte man fliegen. Wenigstens nicht zu fliegen schien noch wichtig zu sein.

Ich antwortete dir nicht. War zu kaputt und hatte zu schlechte Laune. Du hättest mir egal sein müssen, wir kannten uns nicht. Stattdessen wurde ich richtig wütend.

Wut wiederum kannte ich. Sie kam oft. Als hätte es da einen Topf in mir gegeben, der auf einer heißen Herdplatte stand und brodelte. Mit Deckel. Manchmal genügte der Blick eines Fremden, manchmal eine Haarsträhne, die nicht gut lag, und ich kochte über.

Es war diese unerklärliche Wut gewesen, die meine Mutter dazu gebracht hatte, vor zwei Wochen einen Termin bei einem Jugendpsychologen auszumachen. Ich war mitgegangen. Die einzige Chance, möglichst schnell wieder in Ruhe gelassen zu werden. Der Termin war absolut sinnlos. Dass ich zu depressiven Stimmungen neigte, wusste ich auch schon vorher. Immerhin war ich immer dabei gewesen.

Im Weitergehen wurde mir klar, dass du genau die Frisur trugst, die ich gestern dem Friseur zu beschreiben versucht hatte. Doch der hatte mich nicht verstanden oder es einfach nicht hingekriegt. Darum trug ich eine Mütze.

Die in der Hairfabrik hatten mich definitiv das letzte Mal gesehen. In dem Eckladen vorn an der großen Kreuzung hatte vor zwei Wochen ein neuer Friseur eröffnet. Bis vor einem Monat hatte der Typ da drin noch Döner verkauft. Zusammen mit seinem Bruder und seinem Cousin. Jetzt schnitten die drei Haare. Waren wohl Alleskönner. Man musste lange warten, bis man dran war, bezahlte dann aber nur einen Zehner und hatte wenige Minuten später eine ziemlich gediegene Frisur. Hinten und an den Seiten auf sechs Millimeter, oben lang, nach links liegend, scharfe Kanten. Keine Ahnung, warum ich gestern trotzdem und wie immer dorthin gegangen war, wo sich auch meine Mutter die Haare schneiden ließ. Vielleicht wegen des Wie-immers. Es sollte mir eine Lehre sein. Beim Türken wäre es auch noch fünf Euro billiger gewesen und ich konnte gerade jeden Cent gebrauchen.

Die zwei Minuten waren um und ich betrat die Schule. Als ich mich kurz umdrehte, sah ich, dass du mir in den Klassenraum gefolgt warst. Dich sogar, immer noch breit grinsend, neben mich setztest. Wahrscheinlich, weil dort der einzig freie Stuhl stand. Dabei hatte ich den leeren Platz neben mir gemocht. Der war die letzten drei Jahre immer da gewesen. Nun saßt du auf diesem sonst leeren Platz, und ich konnte nichts dagegen sagen, weil tatsächlich kein anderer Stuhl frei war.

Mich wunderte es, dass unser Lehrer dich nicht vorstellte. Aber vielleicht hatte ihm dein lässiges Nicken in seine Richtung genügt. Einer, der sich um sich selbst kümmerte. In einem Haufen pubertierender Neuntklässler wahrscheinlich ein willkommenerer Gast als ein hilflos lächelnder Streber, der am liebsten an die Hand genommen worden wäre. Wie