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Dunkles Gold

Roman | Mirjam Pressler

E-Book (EPUB)
2019 Beltz
336 Seiten; ab 14 Jahre
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-407-75799-9

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Laura lässt das Geheimnis, das den mittelalterlichen jüdischen Schatz von Erfurt umgibt, nicht mehr los. Sie taucht ein in das Schicksal von Rachel und Joschua, die 1349 zusammen mit ihrem Vater alles zurücklassen und vor dem Pestpogrom fliehen mussten. Vielleicht ist es diese Geschichte, weshalb Laura gerade jetzt Alexej begegnet, der lieber verschweigen möchte, dass er Jude ist. Allmählich versteht Laura, in wie viele Fettnäpfchen man treten kann, wenn man sich in einen Juden verliebt, und was es heute bedeutet, jüdisch zu sein. »Dunkles Gold« ist ein aufwühlender Roman von großer Wahrhaftigkeit über jüdische Identität und Antisemitismus, Liebe und Hoffnung, von einer großen Erzählerin.

Mirjam Pressler (1940 - 2019) lebte bis zu ihrem Tod in Landshut. Sie gehört zu den bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautoren und hat mehr als 30 eigene Kinder- und Jugendbücher verfasst, darunter »Bitterschokolade« (Oldenburger Jugendbuchpreis), »Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen« (Deutschen Jugendliteraturpreis), »Malka Mai« (Deutscher Bücherpreis) »Nathan und seine Kinder«,»Ich bin's Kitty. Aus dem Leben einer Katze« und zuletzt »Dunkles Gold« sowie die Lebensgeschichte der Anne Frank »Ich sehne mich so«. Außerdem übersetze sie viele Bücher aus dem Niederländischen, Englischen und Hebräischen. Für ihre »Verdienste an der deutschen Sprache« wurde sie 2001 mit der Carl-Zuckmayer-Medaille ausgezeichnet, für ihr Gesamtwerk als Übersetzerin mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises und für ihr Gesamtwerk als Autorin und Übersetzerin 2004 mit dem Deutschen Bücherpreis, der Corine und der Buber-Rosenzweig-Medaille sowie mit dem Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann-Stiftung.

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1_Der Schatz

Ich war so naiv gewesen. Obwohl mir »naiv« damals als letztes Adjektiv eingefallen wäre, um mich zu beschreiben, ich hielt mich eher für misstrauisch und skeptisch, auf jeden Fall für klug genug, Zusammenhänge zu verstehen und einzuordnen. Trotzdem war etwas geschehen, was ich nicht verstand.

Wenn man von früheren Ereignissen erzählt, erkennt man plötzlich Dinge, die man vorher nicht gesehen hat, findet manches wichtig, was man nur nebenbei wahrgenommen hat, oder man stellt fest, dass man sich grundlos aufgeregt oder geärgert hat, Überflüssiges gedacht und getan hat, und dass manches, was einem schrecklich vorkam, im Grunde nur banal war. Oder umgekehrt. Denn in dem Moment, in dem man eine Situation erlebt, ist es unmöglich zu wissen, ob sie später irgendeine besondere Bedeutung haben wird oder nicht.

So geht es mir heute, wenn ich an die vielen Streitereien mit meiner Mutter denke, übers Aufräumen, nicht erledigte Aufträge, nicht eingehaltene Versprechungen. Es ist nicht so, dass ich mich jetzt nicht mehr über sie ärgere, aber manchmal denke ich, was soll's, in einem Jahr sieht alles anders aus. Und ich glaube, meine Mutter empfindet es mir gegenüber ganz ähnlich. Wenn wir uns heute streiten, habe ich oft das Gefühl, als würden wir aus lauter Gewohnheit ein altes Spiel weiterführen, ein Spiel, über das wir manchmal sogar lachen können. Und wir können miteinander sprechen. Das ist erstaunlich, denn ich habe früher sehr wenig gesprochen. »Verschlossen wie eine Auster«, hat meine Mutter oft geklagt, »die Schalen schön fest geschlossen halten. Es könnte ja jemand auf die Idee kommen, sie aufzubrechen, um nach einer Perle zu suchen.«

Man weiß auch nicht wirklich, an welcher Stelle der Geschichte man mit dem Erzählen anfangen soll, was nichts mehr mit ihr zu tun hat oder bereits dazugehört. Ich habe beschlossen, mit meiner fixen Idee anzufangen, auch wenn ich nicht sagen kann, wann genau sie entstanden ist.

»Wie bist du eigentlich auf diese Idee gekommen?«, hat Alexej mich gefragt, als ich ihm zum ersten Mal einige zusammengeheftete Blätter überreicht habe. Ich habe nur mit den Schultern gezuckt. »Keine Ahnung. Manche Ideen sind plötzlich da, ohne dass man vorher darüber nachgedacht hat, es ist, als wären sie vom Himmel gefallen.«

Doch eigentlich glaube ich das nicht. Vermutlich schleichen sich Ideen heimlich ein, sind anfangs nur flüchtige Gedankenfetzen, die aufblitzen und sofort wieder verschwinden, weil sie von anderen Überlegungen verdrängt werden oder sich in ihnen auflösen. Trotzdem bleiben sie in irgendwelchen Winkeln des Gehirns hängen und warten auf eine günstige Gelegenheit, um wieder aufzutauchen.

Vielleicht hatte sich der Anfang zu meiner Idee bereits in meinen Gedanken festgesetzt, als es in der Schule mal wieder um den Schatz ging und Frau Küppers sagte, wir sollten uns doch mal vorstellen, wie vierzehn-, fünfzehnjährige jüdische Kinder in der Mitte des 14._Jahrhunderts in Erfurt wohl gelebt haben, und sofort hatte sie hinzugefügt: »Laura, du könntest doch mal ein Referat über dieses Thema halten, deine Mutter weiß bestimmt viel darüber.«

Ich spürte, wie Ärger in mir aufstieg, ich ballte die Fäuste und schüttelte heftig den Kopf. Nicht schon wieder! Ich hatte keine Lust, ein Referat über irgendetwas zu halten, was mit dem Schatz oder dem jüdischen Leben in Erfurt zu tun hatte, mir gingen die Gespräche darüber, die mich so ungefähr seit meiner Geburt verfolgten, auf die Nerven. Der Schatz war das ewige Thema meiner Mutter, und ich hatte nicht die geringste Lust, es von mir aus anzuschneiden. Im Gegenteil, ich setzte meine ganze Geschicklichkeit ein, ihm auszuweichen.

Den nächsten Anstoß für meine Idee bekam ich ein paar Wochen später, als ich meine Mutter aus irgendeinem Grund, den ich vergessen habe, fragte, ob es eigentlich heute noch Juden in Erfurt gäbe. An ihre Antwort erinnere ich mich ganz genau.