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Der WundertäterOverlay E-Book Reader

Der Wundertäter

Roman-Trilogie | Erwin Strittmatter

E-Book (EPUB)
2019 Aufbau Digital
Auflage: 1. Auflage
1638 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-8412-1744-8

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Die Trilogie einer Epoche. Mit Poesie, Menschenkenntnis und Humor schildert Erwin Strittmatter in seiner zwischen 1957 und 1980 entstandenen Trilogie den dornenreichen Weg eines Bäckergesellen zum Schriftsteller. Er schuf damit eines der großen und meistdiskutierten Werke der deutschen Literatur: Der letzte Band konnte erst nach einem langen Kampf mit der DDR-Zensur erscheinen. 'Ich glaube doch, dass es in der Ordnung war, die Geschichte eines Dichters in unserer Zeit zu schreiben, zu beschreiben, wie arm er dran ist, und ich schreib das, obwohl ich weiß, dass der Dichter zu keiner Zeit 'reicher' dran war.' Erwin Strittmatter am 25. April 1978 in seinem Tagebuch



Erwin Strittmatter wurde 1912 in Spremberg als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren. Mit 17 Jahren verließ er das Realgymnasium, begann eine Bäckerlehre und arbeitete danach in verschiedenen Berufen. Von 1941 bis 1945 gehörte er der Ordnungspolizei an. Nach dem Kriegsende arbeitete er als Bäcker, Volkskorrespondent und Amtsvorsteher, später als Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1951 lebte er als freier Autor zunächst in Spremberg, später in Berlin, bis er seinen Hauptwohnsitz nach Schulzenhof bei Gransee verlegte. Dort starb er am 31. Januar 1994. Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein Debüt 'Ochsenkutscher' (1950), der Roman 'Tinko' (1954), für den er den Nationalpreis erhielt, sowie die Trilogie 'Der Laden' (1983/1987/1992).

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1

Stanislaus kommt in Waldwiesen zur Welt, verbraucht vor seiner Geburt teures Winterholz, und sein Vater Gustav verprügelt die Hebamme.

Der Herr der Wälder hob die Hand. »Halt!« Die hagere Hand pendelte zwischen den Baumzweigen wie eine gespenstische Frucht. Der Mann mit dem Handwagen blieb stehn. Furcht duckte ihn, er sah auf das Waldgras vor seinen Füßen. Den blinkenden Tau an den Halmen sah er nicht. Der Kuckucksruf wehte ungehört an seinem Ohr vorüber.

Der Förster verließ sein Fichtenversteck und ging auf den Mann zu. Seine Blicke schienen das Leseholz auf dem Handwagen auseinanderzukratzen. Der Mann war der Glasmacher Gustav Büdner; der Handwagen gehörte ihm und enthielt seine letzte Leseholzfuhre für jenes Jahr.

Der Förster entdeckte unter dem Leseholz einen zersägten Trockenstamm. Nun zog er sein Notizbuch und schrieb etwas hinein. Gustav Büdner starrte auf den langen Nagel am Zeigefinger des Försters. Wozu braucht ein Mensch einen so langen Fingernagel? Braucht er ihn zum Ausräumen seiner Baumelpfeife? - Der Förster ging bis zu einem Baum am Waldrand, bückte sich dort und ritzte mit dem langen Fingernagel ein Kreuz auf den Waldboden. »Hier abladen!«

Es kam ein Strafschein über einen Taler: »... wegen des Versuchs, aus den gräflich Arnimschen Waldungen ein Viertel Klafter Nutzholz zu entwenden ... Waldwiesen, 12. July 1909. Der Amtsvorsteher: Duckmann.« - Auf Nimmerwiedersehn, du liebes Talerstück!

Der Straftaler brachte die schmale Haushaltskasse der Büdners in Unordnung. Es konnte keine Erlaubnis zum Blaubeerensammeln von der gräflichen Forstverwaltung gekauft werden. Lena, die Frau, mußte die drei Mark in der Blaubeerzeit mit täglichem Angstschweiß bezahlen. Sie fürchtete den schnüffelnden Forsteleven, und dabei pochten zwei Herzen in ihrem Leibe.

Sollte Gustav Büdner den Taler ohne Zucken und Mucken rollen und das Holz des Trockenstammes, die letzte Fuhre Leseholz liegenlassen, wo sie lag? Nein. Gustav spielte an einem Sonntag mit den Kindern Auto. Jedes Kind schnurrte in einer anderen Tonart. Gustav war der Herr, der die Autos in alle Welt aussandte. Er ließ sie zu einer ganz bestimmten Stelle schnurren, zu der Stelle, an der der Förster mit langem Fingernagel ein Kreuz in die Erde geritzt hatte. Jedes ausgesandte Auto mußte einen Knüppel Leseholz von dort mitbringen. Für die Sägstücke des Trockenstammes stellte Gustav sogar ein Lastauto, ein kräftiges Lastauto aus zwei Kindern, zusammen. Er mußte das den Kindern lange erklären; sie hatten das hochrädrige Auto des Grafen, aber noch kein Lastauto gesehen. Solche Wirrnis um das Winterholz, solche Ungelegenheiten!

Der Mensch Gustav Büdner hing durch eine Reihe lebenskräftiger Väter wie durch eine gute Nabelschnur an der Welt. Sein Vater, Gottlob Büdner, hatte Gustavs Großmutter, die eine Magd war, zu früh zur Kindsfreude hingestoßen. Sie war noch nicht reif für diese Freude, noch nicht bemannt, noch nicht auf Muttersorgen gerichtet gewesen. Deshalb sollte und sollte er nicht sein. Er aber trotzte den giftigen Absuden, die sie trank, dem heißen Rotwein mit Nelken, den Sprüngen vom Melkschemel im Kuhstall und selbst dem kühnen Griff der Abtreibemuhme.

Er kam in diese Welt und ließ sich nicht zurückhalten.

Der Vater des Gottlob Büdner trotzte sein Leben dem preußischen Prügelstock des Grafen Arnim ab. Er entsprang dem Sterbelager, auf das ihn gräfliche Ziemerhiebe geworfen hatten, mit einem Humpelbein.

Der Großvater des Gottlob Büdner entrann den Pocken mit einem narbigen Gesicht, und dessen Vater hinwiederum steuerte sein hartholzenes Lebensboot durch die Pestwogen. Kurzum, die Büdners trotzten Tod und Verderben wie die Unkräuter am Wegrand, deren Lebenskraft der Stunde ihrer Entdeckung und Verwendung zuharrt.

Drei Wochen nach dem Einbringen der letzten Leseholzfuhre hastete Gustav Büdner eines Abends von der Arbeit. Fünf schnelle Schritte, dann ein S