Rezensionen

Bildung als Provokation
 

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Eine konservative Position provoziert zum Widerspruch

Der Autor beklagt, dass Bildung zwar in aller Munde sei, man aber den Gebildeten selbst nicht mehr antreffe. Er führt das darauf zurück, dass unter Bildung heute fast ausschließlich Ausbildung bzw. berufliche Bildung verstanden werde, während für ihn die eigentliche Bildung gerade darin bestehe, dass sie keinem anderen Zweck diene als der persönlichen Entwicklung.
Einmal abgesehen davon, dass auch in der beruflichen Bildung die Persönlichkeit geformt werden kann, so ist doch Skepsis angebracht, wenn Liessmann für eine „echte“ Bildung noch zusätzlich genau definierte literarische Werke vorschlägt, die zu lesen unabdingbar seien, um als gebildet gelten zu können (unnötig zu erwähnen, dass der Autor diese Werke bereits gelesen hat).
Man kann ja der Meinung zustimmen, dass Bildung in einer persönlichen Auseinandersetzung - und zwar nicht nur mit Texten und Kunstwerken wie der Autor offenbar voraussetzt - und in individuellen Erfahrungen gründet, aber dafür ganz bestimmte Werke zu postulieren, weil anscheinend nur in diesen die gewünschten Bildungserlebnisse zu erwerben seien, scheint doch abwegig, um nicht zu sagen elitär zu sein.

Bildung im engeren Sinn wird übrigens nur im ersten Kapitel behandelt, während es im Kapitel über Kultur und Politik nur sehr sporadisch angesprochen wird.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die pauschale Verunglimpfung von Religion, die für den Autor prinzipiell nicht mit der Vernunft vereinbar scheint. Er vertritt hier eine kulturkämpferische Auffassung, die im 18. und 19. Jh. vertreten wurde, aber nicht den aktuellen Diskurs widerspiegelt.

Insgesamt ein zwar flüssig zu lesendes, manche interessante Gedanken enthaltendes, inhaltlich aber enttäuschendes Buch.

Andreas Besold




Scheinbar nutzloses Wissen kennzeichnet den Gebildeten. Dass an Schulen nicht das gelehrt wird, was man zum Leben so braucht, ist ein Vorwurf, mit der pädagogische Einrichtungen seit Jahrhunderten konfrontiert werden. Soll ein Schüler nur lernen, was er sofort anwenden kann? Nur lernen, was nützt? Soll Bildung nur an den Erfordernissen der Wirtschaft gemessen werden? Kenntnisse die nicht zur Lösung eines bekannten Problems beitragen, gelten heute aber als unangemessen und verzichtbar, und die Lektüre von Texten, die nicht dem Erwerb problemlösungsorientierter Kompetenzen untergeordnet werden können, ist out. Liessmann beschreibt in seinem Buch, dss die heute verpönte klassische Bildung, die einst im Zentrum der Lehrpläne der höheren Schulen stand, mit ihren ästhetischen, literarischen oder sprachlich-historischen Kenntnissen ein wertvoller Aspekt in der Bildung ist und dazu führt, dass der flexible, klassisch geschulte Geist auch an bisher unbekannte Probleme herangehen und diese einer Lösung zuführen kann. Eingeschränkte vorgeformte Kompetenzen reichen dafür nicht aus.