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Höllenschlaf (Isas Requiem 5)
E-Book (EPUB)
2020 Bookrix
CCCLIX Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-7487-2708-8
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet
Höllenschlaf
Finsternis kann keine Finsternis vertreiben.
Das gelingt nur dem Licht.
Martin Luther King (1929-1968), »Kraft zum Lieben«-Rede 1963
PROLOG
Hochsommer 1996
Es geschah leise.
Ohne Vorzeichen, die Ina zu deuten vermocht hätte.
Eben noch saß sie am zerschrammten Küchentisch ihrer Großmutter, im Hintergrund ein Radio, auf einen Lokalsender eingestellt. Vor ihr die obligatorische Tasse Kaffee.
Tausend Mal gehörte Songs, Wetter (heiß und trocken), lahme Telefonspäße, Staumeldungen, irgendwo eskalierte wieder eine Krise.
Ein Wimpernschlag später. Ina kam es vor, als hätte sich die Welt draußen verdüstert. Der Rollladen vor dem Küchenfenster war halb herunter gelassen, um die Wärme jenseits der dicken Mauern des alten Hauses zu halten. Ihr Blick schweifte nach draußen zu der sommerlich dichten Hecke und dem Stückchen blauen Himmels darüber. Einbildung: Die Sonne strahlte unbarmherzig, sogar die Vögel hatten ihr lethargisches Zwitschern eingestellt. Es war still. Zu still.
Ohne einen Grund, was sie plötzlich alarmierte, sprang Ina auf und stürzte zum Küchenfenster. Sie riss den alten Riegel zur Seite und streckte den Kopf durch den Rahmen. Die mickrige Basilikumpflanze in ihrem Zinkeimerchen krachte von der Fensterbank auf die Küchenfliesen. Ina schenkte dem keine Beachtung.
"Mäuschen?"
Die schwüle Sommerhitze waberte um ihren Schädel, der Schweiß brach ihr im Nacken aus.
"Jenny?! Wo bist du?", rief sie nun deutlich lauter. Erschrocken vom Klang ihrer eigenen Stimme.
'Du bist hysterisch. Meine Güte, entspann' dich mal!', schalt sie sich selbst in Gedanken. 'Wo soll sie schon stecken? Wahrscheinlich ist sie mal wieder in den Wald gegangen'.
Auf ihre sechsjährige Tochter Jenny übte der nahe Waldrand eine magische Anziehungskraft aus. Während andere Vorschulkinder eher Angst vor dem düsteren Saum des Tannenwaldes verspürt hätten, fühlte ihre tollkühne Prinzessin sich stets angespornt, dort auf Abenteuerjagd zu gehen. Natürlich hatten ihr Mann Patrick und sie die Kleine dutzendfach ermahnt, den eingezäunten Garten nicht zu verlassen. Doch Jenny hatte Inas Dickkopf geerbt. Und das badete sie nun aus.
Mit wenigen Schritten war Ina zur Terrassentür hinaus. Vor ihr breitete sich die leicht abschüssige Rasenfläche zum Wald hin aus. Sie kniff die Augen zusammen, um im gleißenden Sonnenlicht in Richtung der Bäume zu spähen. Die feinen Fältchen auf ihrer Stirn und unter den Augen vertieften sich.
Nichts zu sehen. Die Schaukel kurz vor dem Zaun, der ihr Grundstück von dem Wald trennte, hing völlig unbewegt in der zum Schneiden dicken Luft.
"Jenny!"
Ina konnte sich nicht helfen, sie brüllte den Namen ihrer Tochter. Jetzt war sie richtig sauer. Eine heiße Woge der Wut verlieh ihr den nötigen Schub, um in Richtung Wald zu rennen. Binnen weniger Sekunden erreichte sie den windschiefen Staketenzaun und flankte leichtfüßig darüber. Hätte sie über diesen Sprung nachgedacht, wäre sie sicherlich gestolpert und an einem der schmalen Holzbalken des Zauns hängen geblieben - doch ihre Gedanken kreisten nur um ihre Tochter.
'Wo, verdammt, bist du? Warum hörst du nie auf das, was ich dir sage? Renitente kleine Rübe!'
Der Teil ihres Verstandes, der nicht von mütterlicher Panik beherrscht wurde, beharrte darauf, dass eine Sechsjährige nicht gleich in einen schweren Unfall verwickelt oder einem pädophilen Soziopathen zum Opfer fallen müsse, nur weil sie mal ein paar Minuten außer Sicht geraten war. Doch ihr wummerndes Herz trieb ihre Beine an zu rennen, ihre Lungen immer wieder "Jenny! Jenny!" zu schreien.
Kleine Rübe ... Der Spit