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Neanderthal

Roman | Jens Lubbadeh

E-Book (EPUB)
2017 Heyne Verlag
528 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-641-20073-2

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Waren sie die besseren Menschen?
Deutschland in der Zukunft. Krankheiten, Schönheitsfehler und Suchtprobleme sind abgeschafft, Gesundheit ist das höchste Ideal. Eine Welt, in der sich Kommissar Philipp Nix nur schwer zurecht findet. Als er eines Tages auf eine seltsam aussehende Leiche stößt, führt ihn das zu einem grausigen Massengrab in einem Tal bei Düsseldorf. Sind es Neandertaler? Aber warum sind die Überreste nur dreißig Jahre alt? Nix' Ermittlungen enthüllen einen Skandal, der die Gesellschaft der Zukunft in ihren Grundfesten erschüttert ...

Jens Lubbadeh ist freier Journalist und hat bereits für »Die Zeit«, »NZZ«, »Bild der Wissenschaft«, »Technology Review«, »Spiegel Online« und viele weitere Print- und Digitalmedien geschrieben. Für seine Arbeit wurde er mit dem Herbert Quandt Medien-Preis ausgezeichnet. Sein Roman-Debüt »Unsterblich« hat auf Anhieb Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Seitdem hat er mehrere hochkarätige Science-Thriller veröffentlicht. Jens Lubbadeh lebt in Berlin.

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

2

EIN KNOCHENJOB

Langsam, sehr langsam drehte er den Beinknochen unter dem Stereoskop. Drei Linien zogen sich um das obere Ende des Knochens. Die Abstände waren sauber eingehalten, er konnte kaum Unregelmäßigkeiten feststellen. Wunderschöne Arbeit. Das gleiche Arrangement am unteren Ende. Das waren ganz eindeutig keine Schabe-Spuren. Dieses Neandertaler-Bein war vor 50.000 Jahren nicht das Mittagessen eines Kannibalen oder einer Hyäne oder eines Bären gewesen - sonst hätten sich die Reißzähne in die Knochen gegraben und Spuren gänzlich anderer Art hinterlassen. Alles war deutlich zu regelmäßig eingekratzt. Wahrscheinlich mit einem Steinmesser.

Und was war das? Max hielt den Knochen schräg. Hier war noch etwas. Aber er konnte es nicht genau ausmachen. Ohne die Augen von den Okularen zu lösen, justierte er den Spot der Lampe. Jetzt erkannte er es. Ein Zickzack-Muster. Es verlief quer über dem Knochen, verband die beiden seitlichen Kratzmuster und war ziemlich abgenutzt, aber eindeutig ein Zickzack. Gut. Bei diesem Knochen handelte es sich also um Kunst. Aber was bedeutete diese Kunst? Hatte jemand den Knochen als Identifikations-Symbol getragen? War das Werk ein Stammescode?

Natürlich musste er noch eine Protein-Spektroskopie erstellen lassen, obwohl er sich sicher war, dass der Knochen von einem Menschen stammte. Von einem Neandertaler. Doch das Prozedere war eben einfach Standard; Irrtümer lagen schließlich immer im Bereich des Möglichen. Wesentlich spannender war hingegen die Frage, welche Menschen oder menschenverwandte Art diese Kratzer in den Neandertaler-Knochen geritzt hatten. Neandertaler? Denisova? Oder Homo sapiens?

Idealerweise würden sich noch Steinreste in den Kratzlinien finden. In diesem Fall würde man feststellen, welche Steinart für das Kratzen genutzt worden war - und daraus vielleicht mehr ableiten können. Und wenn er ganz großes Glück hatte, waren vielleicht auch noch DNA-Spuren des Künstlers am Stein und in den Rillen aufzuspüren. Das wäre der Jackpot.

Max löste die Augen vom Stereoskop und legte den Knochen vorsichtig neben den Armknochen und die Finger desselben Individuums. Sein Tisch war mit gelbbraunen Knochen übersät. Er rieb sich die Augen. Es war anstrengend, lange durch die Linsen zu schauen. Und er tat das schon seit Stunden. Aber er stand unter Zeitdruck.

Er war müde, hatte wenig und schlecht geschlafen, die ganze Woche ging das schon so. Der bevorstehende Kongress in Philadelphia bereitete ihm Sorgen. Seine Arbeitsgruppe arbeitete mit Hochdruck daran, die ersten Ergebnisse der Ausgrabung in Kroatien aufzubereiten. Diese neu entdeckte Höhle in Vindija war eine wahre Schatzkammer. Aber die Zeit lief ihnen davon. Sie bräuchten eigentlich Monate, um all die sensationellen Funde zu erfassen und zu kategorisieren. Noch herrschte ziemliches Chaos. Es nervte ihn, dass alles immer so langsam ging. Und dann musste er das komplette Zeug auch noch auf Englisch ausformulieren. Davor graute ihm besonders. Seine Syntax war, wie für einen Gehörlosen typisch, ziemlich mies. Sarah würde das überarbeiten müssen. Aber eigentlich brauchte er sie für die Stratigraphie.

Max sah auf die Uhr. Schon nach acht. Es würde eine lange Nacht werden. Er wollte heute noch mit Neandertaler-Individuum KLM11 durchkommen.

Er nahm den Armknochen auf und hielt ihn erneut unter das Stereoskop. Die Kratzer waren so regelmäßig wie am Oberschenkel. Vindija war zweifellos eine echte Schatzkammer.

Er spürte ein Tippen an seiner Schulter, zuckte zusammen und ließ vor Schreck den Knochen fallen, der mit einem lauten, wenn auch für Max unhörbaren Geräusch auf den Tisch fiel. Scheiße! Er blickte auf und sah in Sarahs Gesicht.

Mit der flachen Hand klopfte er sich zweimal auf die Brust. Es war die Gebärde für »erschrecken«. Dazu eine vorwurfsvolle Mimik, was zu der Aussage »Du hast mich erschreckt!« führt



Jens Lubbadeh hält Spezialisten für speziell, vor allem, wenn sie sich nur mit Organen beschäftigen. Während seines Biologiestudiums widmete er sich zwar auch vorwiegend Gehirnen, brauchte für seines aber Abwechslung, weswegen er Journalist wurde. Ob Sharing Economy oder Scheinmedikamente, Glücksspiel oder geplante Obsoleszenz - Jens Lubbadeh schreibt über die unterschiedlichsten Themen. Er ist Redakteur bei Technology Review, seine Texte sind u.a. in SPIEGEL, SPIEGEL ONLINE, Zeit-Wissen, Süddeutsche Zeitung erschienen. 2013 erhielt er den Herbert-Quandt-Medienpreis für Wirtschaftsjournalismus.