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Die GabeOverlay E-Book Reader

Die Gabe

Roman | Naomi Alderman

E-Book (EPUB)
2018 Heyne Verlag; Penguin
480 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-641-21985-7

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Naomi Aldermans großer feministischer Roman jetzt in der brandneuen Filmausgabe

Es sind scheinbar gewöhnliche Alltagsszenen: ein nigerianisches Mädchen am Pool. Die Tochter einer Londoner Gangsterfamilie. Eine US-amerikanische Politikerin. Doch sie alle verbindet ein Geheimnis: Von heute auf morgen haben Frauen weltweit »die Gabe« - sie können mit ihren Händen starke elektrische Stromstöße aussenden, andere damit schwer verletzen und sogar töten. Ein Ereignis, das die Machtverhältnisse und das Zusammenleben aller Menschen unaufhaltsam, unwiderbringlich und auf schmerzvolle Weise verändern wird.

Naomi Alderman ist in London aufgewachsen und studierte in Oxford und an der University of East Anglia. Für ihren Roman »Die Gabe« wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet. »Die Gabe«, für Amazon Prime spektakulär verfilmt, wurde außerdem von der »New York Times«, der »Washington Post« und der »Los Angeles Times« zum Roman des Jahres gekürt, sowie von Barack Obama und Bill Gates persönlich empfohlen. Naomi Alderman ist Mitglied der Royal Society of Literature, ihre Werke wurden in über fünfunddreißig Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in London.



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Roxy

Die Männer sperren Roxy währenddessen in einen Schrank. Sie wissen jedoch nicht, dass ihre Mum sie schon oft darin eingeschlossen hat, wenn sie unartig gewesen war. Nur für ein paar Minuten, bis sie sich beruhigt hat. Dennoch hat sie insgesamt bisher einige Stunden darin verbracht und in dieser Zeit die Schrauben des Schlosses mit ihrem Fingernagel oder einer Büroklammer gelockert. Sie hätte das Schloss daher jederzeit abmontieren können. Doch dann hätte ihre Mum einen Riegel an der Außenseite angebracht. Es reicht ihr, in der Dunkelheit zu sitzen und zu wissen, dass sie sich befreien könnte, wenn sie unbedingt wollte. Dieses Wissen ist genauso gut wie tatsächliche Freiheit.

Deshalb denken die Einbrecher, sie hätten sie ordentlich weggesperrt. Doch sie befreit sich und sieht daher alles mit an.

Die Männer kommen um halb zehn Uhr abends. Roxy hätte bei ihren Cousins sein sollen; seit Wochen war es vereinbart gewesen, doch sie hatte ihrer Mutter vorgeworfen, nicht die richtigen Strumpfhosen von Primark mitgebracht zu haben, weshalb ihre Mum den Abend kurzerhand abgeblasen hatte. Als ob es Roxy so wichtig gewesen wäre, zu ihren blöden Cousins zu gehen.

Als die Typen die Tür eintreten und sie sehen, wie sie auf dem Sofa neben ihrer Mum schmollt, ruft einer: »Verdammt, das Mädchen ist hier.« Sie sind zu zweit, ein Mann ist größer und hat ein rattenhaft schmales Gesicht, der andere ist kleiner, mit einem breiten Kiefer. Sie hat die beiden noch nie gesehen.

Der Kleinere packt ihre Mum an der Kehle, der Größere verfolgt Roxy, die rasch aufgesprungen war, durch die Küche. Sie hat es fast durch die Hintertür geschafft, als er sich in ihren Oberschenkel krallt. Sie fällt nach vorne, und er packt ihre Hüfte. Sie tritt wild um sich und brüllt »Hau ab, lass mich los!«, und als er ihr eine Hand über den Mund legt, beißt sie ihn so fest, dass sie Blut schmeckt. Er flucht, lässt sie jedoch nicht los und trägt sie trotz ihres Widerstandes durchs Wohnzimmer. Der Kleinere hat ihre Mum gegen den Kamin gedrängt. Roxy spürt, wie etwas sich in ihr aufbaut, auch wenn sie nicht weiß, was es ist. Ein Gefühl in ihren Fingerspitzen, ein Prickeln in ihren Daumen.

Sie beginnt zu schreien. Ihre Mum ruft immer wieder: »Tut ja meiner Roxy nichts, wehe, ihr tut ihr etwas, ihr habt ja keine Ahnung, mit wem ihr es zu tun habt, das wird euch noch leidtun, ihr werdet euch wünschen, ihr wärt nie geboren. Ihr Vater ist Bernie Monke, verdammt noch mal.«

Der Kleinere lacht. »Zufällig haben wir eine Nachricht für ihren Dad!«

Der Größere schiebt Roxy so schnell in den Schrank unter der Treppe, dass diese kaum weiß, wie ihr geschieht, bis es dunkel um sie wird und sie den süßlich-dumpfen Geruch des Staubsaugers wahrnimmt. Ihre Mum beginnt zu schreien.

Roxys Atem geht schnell. Sie hat furchtbare Angst, aber sie muss unbedingt zurück zu ihrer Mum. Mit dem Fingernagel dreht sie an einer der Schrauben am Türschloss. Ein, zwei, drei Umdrehungen, dann ist es geschafft. Ein Funke blitzt zwischen der Metallschraube und ihrer Hand auf. Statische Aufladung. Sie fühlt sich seltsam. Als könnte sie mit geschlossenen Augen sehen. Ein, zwei, drei Umdrehungen, auch die untere Schraube ist gelöst. Ihre Mum sagt flehend: »Bitte, bitte nicht. Wieso tut ihr das? Sie ist doch noch ein Kind. Sie ist nur ein Kind, um Himmels willen.«

Einer der Männer lacht. »Wie ein Kind hat sie für mich nicht ausgesehen.«

Ihre Mum kreischt auf, es klingt wie Metall, das zerquetscht wird.

Roxy versucht zu erraten, wo sich die Männer befinden. Einer ist bei ihrer Mum. Der andere ... ist irgendwo links von ihr. Sie will sich leise aus dem Schrank schleichen, dem Größeren in die Kniekehlen treten, dann auf seinen Kopf. Danach heißt es zwei gegen einen. Wenn sie bewaffnet sind, haben sie es bisher nicht gesagt. Roxy hat schon früher gekämpft. Die Leute sagen Sachen über sie. Ihre Mum. Und ihren Dad.

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